«Vernetzen, inspirieren, bewegen»: 30 Jahre Engagement für BNE
26.06.2025

Christoph Frommherz

Drei Jahrzehnte lang prägte Christoph Frommherz die Bildung für Nachhaltige Entwicklung in der Schweiz – zuerst als Lehrer, später als engagierter Netzwerker, Vermittler und Impulsgeber bei der Umweltbildung Schweiz und éducation21. Im Interview blickt er auf die Anfänge, Meilensteine und Herausforderungen von BNE zurück – und erklärt, warum BNE sehr viel mit gutem Unterricht zu tun hat. Anfang Juli geht Christoph in Pension – und wird künftig noch öfter in den Bergen anzutreffen sein. 

Christoph, du hast 1995, also vor 30 Jahren, deine Arbeit bei der Stiftung Umweltbildung Schweiz (SUB) aufgenommen. War Bildung für Nachhaltige Entwicklung damals überhaupt schon ein Thema? 

Auf der internationalen Ebene war sie bereits ein Thema und auf der nationalen Ebene bei der Arbeit der SUB je länger, je mehr. In einer Sondernummer haben wir zum Beispiel über den 1. nationalen BNE-Kongress 2002: «Nachhaltige Entwicklung macht Schule – macht Schule Nachhaltige Entwicklung?» berichtet. Wir intensivierten auch die Zusammenarbeit mit der anderen Vorgängerstiftung von éducation21, der Stiftung Bildung und Entwicklung (SBE). Ich habe in dieser Zeit auch die Treffen der Didaktischen Zentren (DZ) ins Leben gerufen. Daraus entstanden sind etwa die «Bücherkisten zur BNE», die wir zusammen mit der SBE dreimal jährlich zusammengestellt und den DZ zur Verfügung gestellt haben. Wir waren mit der SUB also mittendrin und haben versucht die wichtigsten Akteure miteinander zu vernetzen, um BNE weiterzubringen. Danach entwickelte sich die Diskussion weiter und im Positionspapier der Fachkonferenz Umweltbildung 2012, dem ich den redaktionellen Schliff verpassen durfte, nimmt BNE denn schon eine wichtige Stellung ein.

Wenn du die Anfänge von BNE in der Schweiz mit der Situation heute vergleichst – was ist der grösste Unterschied?

Zu Beginn, in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre, mussten wir erst einen Rahmen abstecken: Theoretisch, fachlich, was ist BNE, wer hat Anteil an BNE? Es gab ein gewisses «Gerangel» der Institutionen. Es ging noch weniger darum, konkrete Produkte für Lehrpersonen und Schulen zu definieren. Inzwischen haben sich diese Fragen weitgehend erledigt, éducation21 als Institution ist für BNE im Lead, es wurde geklärt, was BNE ist und für die Schweiz bedeutet – auch wenn diese Fragen natürlich auch weiter diskutiert werden - und es konnten klare und konkrete Angebote geschaffen werden.

«Inzwischen haben sich diese Fragen weitgehend erledigt, éducation21 als Institution ist für BNE im Lead, es wurde geklärt, was BNE ist und für die Schweiz bedeutet.»

War BNE auch in deiner Arbeit als Lehrer Anfang der 1990er Jahre ein Thema?

Explizit nicht, aber implizit sehr! Ich habe drei Jahre auf der gymnasialen Stufe und eines auf der Sek 1 vor allem Biologie unterrichtet. Wir hatten Praktikumsstunden in Halbklassen mit viel Gestaltungsfreiheit. Das Thema Landwirtschaft habe ich in jeder Klasse ausführlich und projektartig behandelt. Wir besuchten jeweils einen Biohof und einen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb, machten Bodenuntersuchungen und führten schliesslich eine Podiumsdiskussion zum Thema «biologische versus konventionelle Landwirtschaft» durch, welche von den Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Rollen vorbereitet und umgesetzt wurde.

Auf der Sekundarstufe 1 habe ich eine politische Diskussion, die so in Münchenstein ein paar Jahre vorher tatsächlich stattfand, in einem Rollenspiel nachgestellt. Es ging um die Frage, ob das letzte grosse Stück Landwirtschaft zwischen Münchenstein und der Nachbargemeinde Reinach überbaut werden soll. Also eine klassische BNE-Frage.

Diese Art Unterricht war für mich und meine Schülerinnen und Schüler sehr motivierend und zeigte auch gute Ergebnisse: spannende Diskussionen und eine nachgestellte Gemeindeversammlung, die ein Schüler als Gemeindepräsident souverän gemeistert hat und die zu einem pragmatischen Resultat führte.

Was sind aus deiner Sicht die Meilensteine in der Weiterentwicklung des (B)NE-Verständnisses über die Jahre in deiner Berufswelt, aber auch in der Gesellschaft?

Meilensteine international:

  • 1992 lancierte Japan am Gipfel von Rio die Initiative für die Bildung für Nachhaltige Entwicklung (Agenda 21, Kapitel 36).
  • 2002 am Gipfel von Johannesburg rief die UNO-Generalversammlung die Dekade «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» (2005-2014) aus. In der Schweiz führte das dazu, dass BNE in die Lehrpläne integriert wurde.

Meilensteine national:

  • BNE-Kongress 2002: «Nachhaltige Entwicklung macht Schule – macht Schule Nachhaltige Entwicklung?», welcher damals von der Stiftung Bildung und Entwicklung/DEZA initiiert und in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partner/-innen und mit grossem Erfolg durchgeführt wurde.
  • Gründung éducation21 im Jahr 2013
    Damit sagte das «offizielle Bildungssystem»: Es ist uns ernst mit BNE. Wir wollen dieses Thema strukturiert angehen und professionalisieren.
  • Die 2. BNE-Kongress Horizons21 an der PH Bern, der von éducation21 im Auftrag der Schweizerische Koordinationskonferenz Bildung für Nachhaltige Entwicklung (SK BNE) durchgeführt wurde.

Inhaltliche Meilensteine:

  • Zunehmende Orientierung von der schwachen zur starken Nachhaltigkeit.
  • Weg von der Wissensvermittlung hin zur Kompetenzorientierung (vernetztes Denken, Perspektivenwechsel, Partizipation, Handeln).
  • Verwendung von kreativen didaktischen Methoden.

Wie haben die Schulen auf das Konzept BNE reagiert?

BNE wurde zunächst als theoretisches Konstrukt lange diskutiert und von der Schule wenig verstanden. Es war wichtig, dass zuerst die unterschiedlichen Zugänge zu BNE von verschiedenen Institutionen (z. B. Bedeutung der Umweltthemen versus jener des globalen Lernens) abgegrenzt wurden. Damals hatte ich den Eindruck, dass nur eine engagierte Minderheit etwas mit dem Begriff anfangen, geschweige denn, den Unterricht daran ausrichten konnte. Mit der Aufnahme in die Lehrpläne und mit zunehmend in BNE ausgebildeten Lehrpersonen hat sich das geändert. Das sieht man auch an den jüngeren Kolleginnen und Kollegen bei é21, die alle einen gut gefüllten BNE-Rucksack mitbringen.

«Damals hatte ich den Eindruck, dass nur eine engagierte Minderheit etwas mit dem Begriff anfangen, geschweige denn, den Unterricht daran ausrichten konnte. Mit der Aufnahme in die Lehrpläne und mit zunehmend in BNE ausgebildeten Lehrpersonen hat sich das geändert.»

Wie konnte BNE schliesslich in den Schulen verankert werden?

Die Pionierarbeit der NGO’s mit ihrer treibenden Kraft, die von den Bundesämtern finanziell unterstützt wurden, war bestimmt wichtig. Die Vernetzungsarbeit mit den Pädagogischen Hochschulen, die sich dem Thema annahmen, noch bevor es in die Lehrpläne aufgenommen wurden, spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Institutionell verankert wurde BNE dank der EDK, die erkannte, dass die in der Bundesverfassung geforderte Nachhaltige Entwicklung ein Bildungsauftrag ist. Und entscheidend war, dass den Worten auch Taten folgten, indem éducation21 gegründet wurde.

Was braucht es noch?  

Jetzt braucht es eine gewisse Beharrlichkeit. BNE hat sehr viel mit gutem Unterricht zu tun! In unseren Eigenkreationen müssen wir als éducation21 überzeugende Unterrichtsideen vermitteln. Die Pädagogischen Hochschulen vermitteln zwar das Grundgerüst, aber kreative Unterrichtsideen und Inspiration brauchen Lehrpersonen zusätzlich immer noch – in jeder Generation. Die Grundlagen sind vorhanden. Auf denen kann man aufbauen und neue Impulse setzen. Denn BNE-Unterricht ist spannend, mit BNE-Fragen können Schülerinnen und Schüler herausgefordert werden.

«Institutionell verankert wurde BNE dank der EDK, die erkannte, dass die in der Bundesverfassung geforderte Nachhaltige Entwicklung ein Bildungsauftrag ist.»

Was war dein persönliches Highlight in deinen rund 30 Jahren BNE?

Ganz generell: Menschen, die in diesem Thema arbeiten, arbeiten mit Herzblut! Die Mitarbeitenden von éducation21 sind sehr engagiert in der Sache und identifizieren sich stark.  

Persönlich gab es viele … Sicher gehört dazu, dass ich einmal neben der US-Botschafterin in der Schweiz speisen durfte. Hintergrund war das Projekt Globe, zu dem ein Staatsvertrag erstellt werden musste, der an einer Medienkonferenz mit Lunch präsentiert wurde. Und an der Expo02 wurde mein Theaterstück «Der grösste Chabis» - ein fiktiver Wettkampf zwischen einem konventionellen Chabis-Bauern und einem Biobauern um die Gunst des Rotchabis-liebenden Landwirtschaftsministers – aufgeführt. Mit Martin Seewer, der ebenfalls noch bei éducation21 tätig ist, durfte ich 2002 zum Jahr der Berge einen Kalender erstellen mit Bildern aus unterschiedlichen Weltregionen und dazu Kurztexte, eigentliche Kurzgeschichten verfassen. Zu jedem Kalenderblatt gab es Unterrichtsideen, welche die Bilder einbezogen. Es war eines der ersten Unterrichtsmaterialien für BNE, die wir kreiert haben. Schliesslich die verschiedenen Video-Testimonials, die ich mit Schulen erstellen durfte (siehe rechte Spalte), eines davon mit Bertrand Piccard. Sie zeigen, dass Schule Spass machen kann und was engagierte Lehrpersonen bewirken können.  

Welche Kompetenzen sind aus Sicht einer NE für die Zukunft besonders relevant?

Umgang mit Unsicherheiten und Partizipation: Die erste ist der momentan labilen Situation in der Welt geschuldet, die zweite könnte den Ausweg aufzeigen: Alle Menschen sollten nach bestem Wissen und Gewissen dahin wirken, dass nicht nur die mächtigen dieser Welt das Sagen haben!

«Alle Menschen sollten nach bestem Wissen und Gewissen dahin wirken, dass nicht nur die mächtigen dieser Welt das Sagen haben!»

Was wünschst du dir für die Zukunft der Stiftung é21? 

Ich wünsche deshalb é21 genügend Freiraum, die nötigen Ressourcen und Kreativität damit die Organisation und ihre Mitarbeitenden einen unabhängigen Geist pflegen und bewahren können, um in dieser Hinsicht zukunftsweisende Akzente zu setzen.

Wie wünscht du dir, dass BNE in 30 Jahren aussieht?

BNE ist als gute Bildung komplett anerkannt, sie strahlt auf alle Fächer und die ganze Schule aus. Sie ist gesellschaftlich weder eine Alibiübung noch ein Feigenblatt, sondern bewegt und bereichert Schule und Unterricht.

Wie geht es bei dir nach deiner Pensionierung weiter – bleibt BNE ein Thema?  

BNE hat auch viel mit meinem Lebensstil zu tun, bei dem Suffizienz eine wichtige Rolle spielt. Am 20. August beginne ich zum Beispiel eine Reise nach Berlin und steige nicht etwa ins Flugzeug oder benutze die Bahn (letzteres wäre durchaus akzeptabel), sondern aufs Fahrrad. Ansonsten werde ich mich weiter meinen Buch- und Theaterprojekten oder meinem Garten widmen. Als Vorstandsmitglied der SAC-Sektion Basel betreue ich das Ressort Umwelt und bin sicher häufiger in den Bergen unterwegs anzutreffen. Um zu den Ausgangsorten unserer Touren zu gelangen, benutzen wir praktisch ausschliesslich die Bahn oder das Velo.

Zur Person

Christoph Frommherz begann seine berufliche Laufbahn als Lehrer im Kanton Baselland. Vor rund 30 Jahren wechselte er in den Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Als Informationsbeauftragter der Stiftung Umweltbildung Schweiz – einer Vorgängerinstitution von éducation21 – baute er den Evaluationsdienst für Lernmedien auf und stellte dessen Evaluationsberichte Lehrpersonen und Didaktischen Zentren zur Verfügung. Dies geschah in der Anfangszeit noch ohne Internet, stattdessen über ein gedrucktes Bulletin, das dreimal jährlich erschien. Christoph engagierte sich zudem über viele Jahre als Moderator der Fachkonferenz Umweltbildung und spielte eine zentrale Rolle in der Vernetzung von Didaktischen Zentren untereinander und mit der Stiftung Umweltbildung Schweiz. Bei éducation21 widmete er sich zuletzt mit grossem Engagement der Zusammenarbeit mit ausserschulischen Akteuren und deren Bildungsangeboten – ganz im Sinne seiner Leidenschaft für das Vernetzen und Ermöglichen.

Videos

Interview de Bertrand Piccard

In einer Projektwoche der Bildungswerkstatt Bergwald

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Artikel von Dr. Isabelle Bosset «Mehr BNE im Klassenzimmer»
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