Das Schulklima profitiert von nachhaltiger Führung
28.04.2025

Interview mit Irene Lampert, Dozentin Management und Leadership, Lehrgangsleiterin, Programmverantwortliche «Bildung für Nachhaltige Entwicklung» und Projektleiterin «Sustainable Leadership» an der Pädagogischen Hochschule Zürich (PHZH) sowie Fachperson BNE im kantonalen Schulnetz21 Zürich (Volksschulen).
Schulentwicklung und Führung hängen eng zusammen. Irene Lampert bildet an der PHZH Schulleiter/innen aus und forscht zu «Leadership for Sustainability». Im neusten Projekt in Zusammenarbeit mit éducation21 und der Universität Linnaeus führt sie Peer-Reviews an schweizerischen und schwedischen Schulen durch. Das Ziel: Herausfinden, was es braucht, um nachhaltige Schulen zu gestalten und zu führen. Endprodukt soll eine Online-Toolbox für alle interessierten Schulen sein.
Frau Lampert, was verstehen Sie unter Leadership für Nachhaltigkeit im Kontext der Schulentwicklung?
Unter Leadership für Nachhaltigkeit verstehe ich eine Form der Schulleitung, die darauf abzielt, die gesamte Schule im Sinne der Nachhaltigkeit auszurichten. Für die Schulentwicklung bedeutet das konkret, Nachhaltigkeitswerte und -ziele in Strategie, Struktur und Kultur der Schule fest zu verankern. «Leadership for Sustainability» erweitert also das traditionelle Führungsverständnis über organisatorische Aufgaben hinaus hin zu einem inklusiven, kollaborativen und reflexiven Führungsprozess. Konkret heisst das: Die Schulleitungen fördern eine Schulkultur, in der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) integraler Bestandteil ist – vom Leitbild über den Unterricht bis zum Schulalltag.
Was sind denn konkret die Vorteile einer nachhaltig geführten Schule?
Entscheidungen werden tendenziell demokratischer und langfristiger getroffen, was laut Forschung ein motivierendes Schulklima begünstigt. Interessanterweise berichten Schulen, dass mit ihren Nachhaltigkeitsinitiativen auch das Zusammengehörigkeitsgefühl gewachsen ist – man zieht gemeinsam an einem Strang. Beispielsweise fördert eine gemeinsame Arbeit an Nachhaltigkeitsprojekten (vom Schulgarten bis zum Gemeinde-Flohmarkt) die Zusammenarbeit und den Stolz auf die eigene Schule.
Gilt der positive Effekt auch für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler?
BNE macht Bildung relevanter und oft auch interaktiver: Schülerinnen und Schüler arbeiten an realen Problemen und Projekten und denken dabei fächerübergreifend – das steigert die Motivation und das Engagement. Empirische Befunde untermauern, dass Programme, die Nachhaltigkeit systematisch im Schulalltag verankern, die Handlungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler deutlich verbessern. Aus der Schulqualitätsforschung wissen wir ausserdem, dass die Schulleitung – nach dem Unterricht selbst – den grössten Einfluss auf Lernergebnisse hat. Eine engagierte Schulleitung trägt also indirekt zu besseren Lernleistungen bei, weil sie ein Umfeld schafft, in dem Lernen gut möglich ist.
«Empirische Befunde untermauern, dass Programme, die Nachhaltigkeit systematisch im Schulalltag verankern, die Handlungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler deutlich verbessern.»
Aber wo fange ich an, wenn ich BNE in meiner Schule verankern und die Schule nachhaltig entwickeln will?
Zuerst ein gemeinsames Verständnis schaffen. Die gesamte Schulgemeinschaft (Schulleitung, Lehrpersonen, Hausdienst, Schülerinnen und Schüler, Eltern) abholen, z. B. durch einen pädagogischen Tag oder Workshop, an dem man erstmal erklärt und diskutiert: «Was ist BNE? Warum ist es wichtig für unsere Schule?» So denken und reden alle Beteiligten von Anfang an mit und die bereits vorhanden Ansätze werden sichtbar. Viele Schulen stellen fest, dass sie unbewusst schon Elemente von BNE praktizieren (sei es ein Umweltprojekt, Schülerpartizipation im Schülerparlament oder Gesundheitsförderung).
Diese vorhandenen Ressourcen anzuerkennen und zu würdigen, motiviert und zeigt: Wir müssen nicht bei null anfangen. Das Schulnetz21 bietet hier ganz konkrete Hilfsmittel an, um eine Standortbestimmung zu erstellen. Entscheidend ist, dass der Anfang inklusiv gestaltet wird, damit die nachhaltige Entwicklung von Anfang an als gemeinsames Projekt der ganzen Schulgemeinschaft verstanden wird. Danach kann man z. B. eine gemeinsame Zielvorstellung entwickeln, Strukturen und Verantwortlichkeiten festlegen, einen Massnahmenplan erarbeiten, BNE im Leitbild / in Jahresprogrammen verankern. Ich empfehle, mit erreichbaren Projekten zu starten, die sichtbaren Erfolg bringen. «Quick Wins» sind wichtig, um Schwung aufzunehmen. Alle Beteiligten sehen sofort einen Effekt, solche Aktionen erzeugen Aufmerksamkeit und Erfolgserlebnisse.
Keine Zeit, kein Geld und interne Widerstände: Wie können Schulleitende Herausforderungen überwinden?
Aus meiner Sicht sind die folgenden Herausforderungen am häufigsten:
- Spagat zwischen dem Dringlichen und dem Wichtigen
Im Schulalltag brennt immer irgendwo ein Feuer: organisatorische Probleme, Unterrichtsausfall, akute Konflikte. BNE hingegen ist ein langfristiges Entwicklungsprojekt. Viele Schulleitende erleben daher, dass Nachhaltigkeit trotz bester Absichten im Tagesgeschäft unterzugehen droht. Hier hilft es, sehr bewusst Prioritäten zu setzen und Zeitfenster zu reservieren: BNE regelmässig auf die Agenda von Lehrpersonenkonferenzen setzen, feste Arbeitsgruppen oder Projektleitende bestimmen, als Schulleiter/in selber jede Woche ein, zwei Stunden blocken, um am BNE-Konzept zu arbeiten oder sich mit dem Koordinationsteam auszutauschen.
- Widerstand oder Zurückhaltung im Kollegium
Veränderung kann Unsicherheit oder ein Überlastungsgefühl bei Lehrpersonen auslösen. Wenn Lehrpersonen aber verstehen, warum BNE wichtig ist, schwenken viele von Skepsis zu vorsichtigem Interesse und dann zu Engagement um. Auch das Aufzeigen der Verbindungslinien zum Lehrplan hilft. Sinnvoll ist auch, BNE mit existierenden Routinen zu verweben: z. B. Projektwochen gibt es vielleicht ohnehin – warum nicht dem nächsten Projekt eine Nachhaltigkeits-Thematik geben? Oder bei der nächsten Schulprogramm-Revision BNE-Aufgaben gleich mit einarbeiten, statt ein separates Konzept zu schreiben.
- Eingefahrene Routinen
Jede Schule hat Gewohnheiten, die hinterfragt werden müssen, wenn man BNE fördern will. Das kann alles Mögliche betreffen: z.B. Papierverbrauch (traditionell viele Kopien), die klassische Einzelfach-Denkweise im Stundenplan oder ein hierarchischer Führungsstil. Diese Routinen aufzubrechen, erfordert Mut – sowohl von der Schulleitung als auch vom Kollegium. Dabei klappt nicht immer alles auf Anhieb; Rückschläge gehören dazu. Hier hilft nur eine Portion Beharrlichkeit.
- Finanzen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung für Projekte zu erhalten, darunter die Finanzhilfen von édcuation21.
- Selbstüberforderung
Wer BNE aus voller Überzeugung vorantreibt, läuft Gefahr, sich zu verausgaben – man will am liebsten sofort alles verbessern. Hier ist es wichtig, das Ganze als Marathon und nicht als Sprint anzusehen. Einige Schulleitende berichten, dass ihnen der Austausch mit Gleichgesinnten enorm hilft. In BNE-Netzwerken kann man sich gegenseitig austauschen und Ratschläge holen, was wiederum dabei hilft, die eigenen Herausforderungen besser zu meistern. Eine Unterstützung von aussen (zum Beispiel ein BNE-Coach oder eine Weiterbildung) kann ebenfalls helfen, neue Energie zu schöpfen.
«Wenn Lehrpersonen aber verstehen, warum BNE wichtig ist, schwenken viele von Skepsis zu vorsichtigem Interesse und dann zu Engagement um.»
Welche Unterstützungsangebote gibt es, um BNE an der Schule zu verankern?
Schulleitungen und Lehrpersonen stehen nicht allein da, wenn sie BNE voranbringen möchten. Besonders das Schulnetz21 (siehe Infobox) kann Lehrpersonen und auch Schulleitungen dabei unterstützen, nachhaltige Schulen zu gestalten. Von praktischen Unterrichtshilfen über finanzielle Förderungen, persönliche Beratung, Weiterbildungsangebote bis hin zu Netzwerken und Auszeichnungen ist vieles verfügbar. Ich persönlich ermutige Schulen immer, zunächst im eigenen Umfeld die Möglichkeiten auszukundschaften – oft bieten schon der Kanton oder lokale NGOs viel an. Und auf nationaler Ebene ist éducation21 der beste Startpunkt in der Schweiz; dort findet man eigentlich alles Relevante gebündelt. Mit all diesen Ressourcen im Rücken lässt sich BNE deutlich leichter in die tägliche Praxis holen – man muss das Rad nicht allein neu erfinden, sondern kann auf vorhandenes Wissen und Unterstützung bauen.
Aktuell arbeiten Sie an einem Kooperationsprojekt mit einer schwedischen Universität zu nachhaltiger Führung und BNE – worum geht es genau?
Im Kooperationsprojekt «Sustainable Leadership: Mit Führungspersonen nachhaltige Schulen gestalten» mit der schwedischen Linnaeus-Universität und éducation21 setzen wir darauf, Schulleitungen gezielt fortzubilden und zu vernetzen. Das Projekt vereint Expert/innen aus den Bereichen Leadership und BNE sowie Schulleitungen aus der Schweiz und Schweden, die gemeinsam Leadership-Peer-Reviews an Schulen in beiden Ländern durchführen und erörtern, was es braucht, um nachhaltige Schulen zu gestalten und zu führen. Ziel ist es, eine Online-Toolbox zu erarbeiten, welche Schulleitungen und Lehrpersonen bei der Gestaltung von nachhaltigen Schulen in allen drei Sprachregionen zugutekommt. Diese Angebote können anschliessend über éducation21 oder über die PH Zürich genutzt werden.
«Ziel ist es, eine Online-Toolbox zu erarbeiten, welche Schulleitungen und Lehrpersonen bei der Gestaltung von nachhaltigen Schulen in allen drei Sprachregionen zugutekommt. Diese Angebote können anschliessend über éducation21 oder über die PH Zürich genutzt werden.»
Welche ersten Erkenntnisse konnten Sie aus dem Peer-Review-Austausch gewinnen?
Eine wichtige Erkenntnis war die Bedeutung des Blicks von aussen. Als Schule betriebsblind zu werden, ist normal – man hält vieles für gegeben. Durch die Peer-Reviews haben Schulleitungen Rückmeldungen erhalten, auf die man allein vielleicht nie gekommen wäre. Zum Beispiel bemerkten Peers bei einer Schule, dass zwar ein tolles Nachhaltigkeitsleitbild existierte, dieses im Alltag aber von manchen Lehrpersonen noch nicht mitgetragen wurde – ein Hinweis, den die Schulleitung aufgreifen konnte, um mehr interne Fortbildung zu machen. Umgekehrt lobten Peers an einer anderen Schule ausdrücklich die stark partizipative Schulkultur, die dort herrschte, und machten damit der Schulleitung bewusst, dass dies eine grosse Stärke ist, auf der man aufbauen kann. Durch die systematische Reflexion und das Feedback entstand generell bei allen Beteiligten eine Art Kompetenzschub: Man wird sich der eigenen guten Praktiken bewusster und erkannte die eigenen Entwicklungsfelder klarer. Letztlich haben wir gelernt, dass Transparenz und Reflexion der eigenen Arbeit – im Spiegel von Kollegenfeedback – enorm wertvoll sind, um BNE voranzubringen.
Zum Schluss: Welchen Einfluss hat eine nachhaltig geführte Schule auf die Umsetzung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)?
Wenn die Schulleitung Nachhaltigkeit zur Priorität macht, wird BNE nicht mehr nur als isoliertes Projekt einzelner engagierter Lehrpersonen betrieben, sondern Teil der DNA der Schule. Studien zeigen, dass Schulleitungen, die Nachhaltigkeit proaktiv vorantreiben, BNE fest in den Schulablauf integrieren. Etwa indem sie eine gemeinsame Vision für BNE entwickeln und partizipative Prozesse organisieren. Sie unterstützen Lehrpersonen bei der Anwendung von BNE und fördern die aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler – all das führt dazu, dass BNE flächendeckend und konsistent umgesetzt wird. BNE hört dann auf, ein «Extra» zu sein, und wird zur Selbstverständlichkeit, sichtbar in Schulprojekten und Entscheidungsprozessen.